Mein Besuch bei den Adlerjägern in der Mongolei
Dieses eine Bild hatte es mir total angetan. Ein kleiner Junge mit einem großen Jagdvogel auf seinem Arm. Ein Adlerjäger, wie ich aus dem Text dazu erfuhr. Die beiden bildeten eine kraftvolle Einheit, der Blick des Jungen ebenso stolz wie der des Adlers.
Der Artikel im Stern über einen neuen Bildband lief mir ziemlich zufällig über den Weg, denn das Magazin lese ich eher selten. Doch dieses Mal hat mich eine Ankündigung auf der Titelseite dazu veranlasst, es in meinen Einkaufswagen zu legen. Der Bericht über den Bildband Dark Heavens von Hamid Sharmar ging über mehrere Seiten, seine Besuche bei Nomaden in der Mongolei waren eine völlig fremde Welt für mich, weit weg von meiner. Dazu diese faszinierenden Fotos. Ich riss mir das Bild von dem jungen Adlerjäger aus und bewahrte es in meiner Kiste mit „Inspirationen für irgendwann“ auf. Von dort schaffte es das Bild es auf mein jährliches Moodboard, ohne zu wissen was ich mir damit sagen will. Ich hatte ein ganzes Jahr lang Zeit darauf zu gucken und darüber nachzudenken.


Im darauffolgenden Januar war es soweit und die Erkenntnis war ganz einfach. Ich wollte da hin. Ich wollte erleben, wie Nomaden in der modernen Welt ihren Weg finden, und ich wollte ein eigenes Bild von einem Adlerjäger mit seinem Gefährten.
Es kostete mich ein bisschen Recherche und ein paar Gespräche, doch kurze Zeit später hatte ich die Flugtickets gebucht und ein echtes Abenteuer vor mir. Im Herbst 2018 flog ich dann zum ersten Mal in die Mongolei und reiste dort mit Frank, einem deutschen Fotografen, und seiner mongolischen Frau Odmaa durch das Land. Wir besuchten Dörfer an der nördlichen Grenze zu Russland und endeten bei den Nomaden im äußersten Westen, in den Tälern des Altai Gebirges. Genau dort leben sie nämlich, die Adlerjäger.
Meine erste Begegnung
Nach einer langen und ziemlich holprigen Fahrt in einem ungefederten Furgon über die Steppenpisten, kamen wir erst weit nach Sonnenuntergang bei der Jurte von Kairatkhan und seiner Frau an. Der Adler fiel mir nicht sofort auf, er saß ganz still auf einem Holzpflock ein Stück neben dem Eingang draußen vor der Jurte. Über seinem Kopf eine Lederkappe, damit die empfindlichen Augen des Tieres durch den Besuch und die Lichter des Autos nicht überreizt werden. Die erste Begegnung war wenig spektakulär und dennoch war klar, dass es das nicht bleiben würde.
Zur Begrüßung gab es mongolischen, gewürzten Milchtee und eine Vorstellungsrunde mit Händen und Füßen. Wie gut, dass Odmaa übersetzen konnte, wenn wir mal nicht weiter wussten. Sie hat auch unsere Gastgeschenke übergeben, im wesentlichen Lebensmittel, die wir aus der Stadt mitgebracht haben. Die nächsten Tage werden wir gemeinsam verbringen, zusammen in der Jurte wohnen, mit der Sonne aufstehen, die Tiere zum Melken einfangen, kochen, essen und uns natürlich um den Adler kümmern. Nach der Sommerpause muss er erst wieder auf die Jagdsaison vorbereitet werden.
Am nächsten Tag haben wir uns auch mit dem Adler bekannt gemacht. Einen eigenen Namen hat er nicht, bzw. wechselt er jedes Jahr mit seinem Alter. So heißen z.B. alle fünfjährigen Adler gleich, so wie alle sechsjährigen, siebenjährigen, und so weiter.
Nachdem die morgendliche Arbeit erledigt war, hat sich Kairatkhan den robusten Lederhandschuh übergezogen und den Vogel auf den Arm genommen. Vorsichtig hat er ihm dann die Lederkappe vom Kopf genommen, was der Adler mit mehreren lauten Schreien quittierte. Sofort war auch die Energie zu spüren, die von dem majestätischen Greifvogel ausgeht. Die klaren, fein gezeichneten Augen suchten die Umgebung ab und allein die ersten Flügelbewegungen ließen sofort erahnen, welche Stärke in dem Tier steckt. Ein Wunder, dass er sich bändigen lässt und seine Kraft nicht zu seinen Gunsten ausspielt.
Eine besondere Beziehung
Ich war einfach nur beeindruckt und fasziniert. In den nächsten Tagen habe ich viele Momente erlebt, in dem die besondere Verbundenheit zwischen Mann und Tier deutlich wurde. Beide wissen, dass der Adler jederzeit wegfliegen kann, wenn er nicht angebunden ist. Nur mit Respekt und Fürsorge kann die Beziehung bestehen und aufrecht erhalten werden. Ein Lehrstück zum Umgang miteinander.
Wenn ich allein war, durfte ich dem Adler nicht zu nahe kommen. Es gab eine Grenze, sozusagen sein sozialer Bereich. Als ich die einmal überschritten hatte, hat mir der Adler durch einen lauten Schrei und seine Körpersprache klar gemacht: bis hierhin und nicht weiter. Alles klar, hab ich verstanden. Nur wenn Kairatkhan dabei war, ließ er eine größere Nähe zu, auch wenn mich dabei immer ganz genau beobachtete.
Zu dem Team gehört noch ein weiteres Mitglied, das mongolische Pferd. Relativ klein, sehr robust und alles andere als schreckhaft. Auch Pferd und Adler müssen sich erst aneinander gewöhnen und einander vertrauen. In der Natur würden sich die beiden eher aus dem Weg gehen. Mit dem Menschen als verbindendes Element werden hier natürliche Stärken auf ungewöhnliche, aber sehr effektive Weise zusammen gebracht. Die drei zusammen sind einfach eine sehr spektakuläre Kombination.
Mehrfach am Tag habe ich nachgeguckt, ob der Adler noch an seinem Platz ist. Und sobald Kairatkhan seinen Mantel angezogen und die Fuchsfellkappe aufgesetzt hat, bin ich ihm mit meiner Kamera gefolgt. Schnell hatte ich nicht nur das Bild, für das ich in die Mongolei gereist war, sondern noch viele weitere. Wenn die beiden auf dem Pferd durch den Fluss auf mich zugeritten kamen oder zu dritt in der Abendsonne den Tag beendeten, war ich einfach nur ergriffen. Häufig genug habe ich aber auch einfach nur die Atmosphäre genossen und die Kamera in der Tasche gelassen, denn ich wollte ja nicht erst zu Hause sehen, was ich hier erlebe. Manchmal weiß man schon, dass die Momente einzigartig sind, die man gerade erlebt.
Ruhe und Stärke
Bevor mir der Zeitschriftenartikel in die Hände gefallen ist, wusste ich nicht, dass es so etwas wie Adlerjäger überhaupt gibt. Der Name hat zunächst bei mir den Eindruck erweckt, dass Männer Adler jagen – wozu auch immer. Doch so ist es nicht. Die Adler sind die Jäger der Familien, fangen Murmeltiere, Hasen, Füchse und zusammen mit anderen Adlern sogar Wölfe. Die Adlerjagd ist eine alte Tradition der Kasachen, die weitgehend unbekannt ist und auch nur von einer sehr begrenzten Gruppe praktiziert wird.
Die Zeit bei den Adlerjägern, den Berkutschis, zählt sicher zu den größten Abenteuern, die ich bisher erlebt habe. Eins der entstandenen Bilder hängt groß in meiner Wohnung. Ich gucke sehr häufig darauf, und die Kombination aus Ruhe und Stärke fasziniert mich nach wie vor. Was mit einem Artikel in einer Zeitschrift begonnen hat, gipfelte in einem außergewöhnlichen Besuch eines besonderen Landes und hat mein Leben nachhaltig beeinflusst.